Montag, 28. Juli 2008

Das zerrissene Wörterbuch

Eine Geschichte für Kinder und andere interessierte Zeitgenossen
Autor: Prof. DDDr. Clemens Sedmak
aus: Welt der Frau - Ausgabe Juli/August 2008

Erinnerst du dich an den kleinen Prinzen? Und an seine Begegnung mit dem Geschäftsmann auf dem vierten Planeten? Der Geschäftsmann war schwer beschäftigt, als der kleine Prinz zu ihm kam; er musst zählen und rechnen und sich gegen Störungen zur Wehr setzen. Er zählte die Sterne, um sie zu besitzen. Und dann wurde er reich und konnte noch mehr Sterne besitzen - nachdem er sie gezählt und berechnet hatte, denn er war ein ernsthafter Mann. So ist das Geschäftsleben. Ernst. Sehr ernst.

Nun, auf dem Planeten des Geschäftsmannes ist in der Zwischenzeit einiges geschehen. Es gibt nun viele Geschäftsleute dort, ernsthafte Frauen und Männer, die sich mit Zahlen und Zählen beschäftigen. Du kannst dir das wirklich so vorstellen: Ein ganzer Planet, bewohnt von ernsthaften Menschen, die ihre Zahlen auf Papiere schrieben und diese hüteten und sorgsam einsperrten. Der kleine Prinz kam zurück und fand keinen Menschen mehr, der Zeit für ihn hatte. Immer wieder sagte er „Guten Tag“, wie er es gewohnt war, aber die Menschen waren zu beschäftigt, um auch nur den Kopf zu heben. Und nun stellte sich der kleine Prinz eine ganz wichtige Frage. Welche? Sie liegt dir auf der Zunge – die Frage nämlich, wie es denn um die Liebe auf dem Planeten bestellt war. Wie können Menschen, die stets mit Zählen beschäftigt sind, Blumen schenken oder Liebesgedichte schreiben oder mit Kindern spielen? Das geht ja gar nicht. Nein, es geht tatsächlich nicht. Die Menschen auf diesem Planeten hatten die Sprache der Liebe verlernt. Der kleine Prinz hörte ihnen zu, wenn sie abends in Bars und schicken Restaurants saßen und vielleicht ein wenig zu viel Wein tranken. Sie sprachen zwar von „zwischenmenschlichen Beziehungen“, aber doch mehr von Rechtsträgern und Pflichtadressaten, von Beziehungsarbeit und Beziehungsmanagement, von Beziehungsmärkten und Beziehungsangeboten.

Natürlich gab es auch Kinder auf diesem Planeten, aber ein Kind wurde – der kleine Prinz hatte das ganz genau gehört – als Investitionsgut bezeichnet, als Erfahrungsgut, wenn man schon ein Kind hat, als Inspektionsgut, wenn man den Zustand des Kindes im Mutterbauch begutachten kann, als Vertrauensgut, wenn man erst nach der Geburt herausfinden kann, welche Art von Menschenwesen das Kind nun sei. Ein Kind wurde als Instrument für Fürsorgeehrgeiz, als Kampf gegen eine Diktatur der Bedürftigkeit, als Rückzugsort für Primäraffektbezeugung beschrieben. Kannst du deine Kinder in diesen Wörtern erkennen?

Und weißt du was dann geschehen ist? Ein Wunder! Ein Wunder in Gestalt eines zerrissenen Buches, von dem schon einige Seiten fehlten. Der kleine Prinz hatte es von seinem Freund, dem Fuchs geschenkt bekommen, der ihm aufgetragen hatte, „etwas Gutes“ damit zu machen. Und das tat der kleine Prinz. Er legte das alte, zerrissene Buch mitten auf die Straße, auf der gerade ein Mädchen vorbeiging. Das Mädchen war unterwegs zur Schule und berechnete eben die Abstände der Schlaglöcher auf der Straße. Da stolperte es über das Buch, hob es auf und begann zu lesen. Ein seltsames Buch. Es war ein Wörterbuch.
Da stand zum Beispiel: „Achtsamkeit: Genau hinsehen! Und hinhören! Leise gehen, still werden, leer sein.
Oder: „Liebe ist die tätige Sorge um das Wohlergehen eines anderen.
Oder: „Abschiedsbrief an ein sterbendes Kind: Du bist das Beste, das Papa und mir je geschehen ist. Ich werde dich immer lieb haben.
Oder: „Hoffnung ist die Erwartung des Guten.
Das Mädchen las diese Worte, bedächtig, und – begann in ihrer neuen Sprache zu sprechen; ja, und wie die Schirmchen des Löwenzahnsamens, so verteilten sich die Wörter auf dem Planeten. Als der Prinz das nächste Mal kam, blühten schon viele gelbe Löwenzähne auf den Wiesen. Er dachte an den Fuchs, der immer an ihn dachte, wenn er gelbe Blumen sah. Er freute sich. Denn es war alles so vertraut. Und so neu wie ein richtig kitschiges Liebesgedicht.

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"Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie" (Erich Kästner)

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